Archiv | 20 lug 2015
Nerds und Geeks: Der Eliteclub unserer Zeit
Die Welt ist voller Nerds und Geeks. Aber was sind das überhaupt für Menschen? Habt ihr jetzt zufällig einen fetten, pickligen Typ vor Augen, der den ganzen Tag vor seinem PC rumhängt? Ihr wäret nicht allein, das ist nach wie vor ein verbreitetes Vorurteil. Im Duden wird der Nerd übrigens als „intelligenter, aber sozial isolierter Computerfan“ beschrieben. Beschreibungen für den Geek findet man jedoch nur im englischen Duden, auch wenn eine allgemein gültige Definition fehlt. Dafür springen einem gleich mehrere „hübsche“ Übersetzungen ins Gesicht: Fader Kerl, Langweiler, Kleidermuffel, Trottel, lästiger Kerl, komischer Typ und Computerfreak. Naja…
Prinzipiell ist das alles nicht komplett falsch, mindestens aber enorm lückenhaft. Denn die Geschichte unserer schrägen Freunde reicht durchaus einige Jahre zurück und ruft heute wesentlich positivere Gefühle und Vorstellungen in den Menschen hervor. Sonst würden wohl kaum immer mehr Leute von sich behaupten, ein Geek oder Nerd zu sein (ob der Titel nun gerechtfertigt ist oder nicht). Aus diesem Grund haben wir uns genauer angesehen, wie der jeweilige Begriff entstanden ist beziehungsweise welche Richtung er im Laufe der Zeit eingeschlagen hat.
Geek: Vom Freak zum Hardcore-Fan
Angeblich wurde die Bezeichnung „Geek“ erstmalig im Jahr 1876 in Nordengland verwendet und galt als Synonym für „Dummkopf“. Nett! Noch viel irritierender ist aber diese Entstehungsgeschichte aus den Vereinigten Staaten: Ungefähr zu Beginn des 20. Jahrhunderts wurden Menschen als Geek bezeichnet, die im Rahmen von Jahrmarktveranstaltungen oder im Zirkus sonderbare oder widerliche Sachen vorführten. Was soll’s, nennen wir das Kind beim Namen: Gemeint sind Freakshows! Hier wurden unter anderem lebendigen Tieren der Kopf abgebissen, das war noch Unterhaltung! Auf jeden Fall wurden Geeks in diesem Zusammenhang zu Menschen, die durch absonderliche Taten auffielen.
Das Geek=Freak-Syndrom hielt sich bis in die 70er Jahre, hatte aber längst nichts mehr mit Jahrmärkten zu tun, man sprach eher von einem Streber. Ergo war Dummheit kein passendes Attribut mehr, an seine Stelle trat die soziale Inkompetenz. Denn lange Zeit dachte man bei Geek hauptsächlich an Wissenschaftler oder Informatiker, die zwar intelligent, in der Gesellschaft aber ziemlich unbeholfen waren. Ganz ähnlich wie die Jungs aus der Kultserie The Big Bang Theory. Wobei, sind das nicht eher Nerds? Ja, manchmal fällt es wirklich schwer, eine Grenze zwischen den Begriffen zu ziehen.
Ende der 1970er Jahre begann die massenhafte Verbreitung von Video- und Computerspielen, zusätzlich schenkte Hollywood der Welt ein breites Angebot an Science-Fiction- und Fantasy-Filmen. Auf einmal waren die sonst eher belächelten Geeks Experten für wissenschaftliche und fiktionale Fragen, die auch ein breites „normales“ Publikum interessierte. Man könnte den Geek dieser Zeit auch schlicht als „intensiven Fan“ bezeichnen, der eine leidenschaftliche Besessenheit für ein bestimmtes Thema hatte, sei es Technik, Science Fiction oder Comics. Und genau das wurde im Laufe der Zeit zur neuen Definition des Geeks! Wohl auch ein Grund, warum die meisten Leute heute nicht mehr sagen, sie seien große Star Wars-Fans sondern Star Wars-Geeks. Das klingt irgendwie, als hätte man mehr Ahnung von der Materie. Ein normaler Fan kann ja jeder sein.
Geeks sind also längst in der Gesellschaft angekommen. Die Krönung dieser Erfolgsgeschichte könnte der „Embrace your Geekness Day“ sein, der seit 1990 jedes Jahr am 13. Juli stattfindet. Die Gründer Ruth und Thomas Roy beschreiben diesen speziellen Feiertag wie folgt: „Into dungeon games, comic books and doing vampire dress-up? Spend endless hours going strange places on the internet? You’re a geek and this is the day to roar!“ Oder kurz: Das Wort Geek wird kaum noch negativ verwendet. Wie sieht das beim Nerd aus?
Nerd: Stolzer Außenseiter
Die Herkunft des Begriffs „Nerd“ ist ziemlich unklar. Tatsächlich kursieren mehrere Entstehungsgeschichten im Internet, die sich stark voneinander unterscheiden. Schriftlich tauchte das Wort erstmalig in dem Gedicht If I ran the zoo von Dr. Seuss aus dem Jahre 1950 auf: Darin stellt ein Junge eine lange Liste ausgefallener Ideen zusammen, die er umsetzen würde, hätte er selbst die Leitung über den Tierpark. Unter anderem würde er eine Kreatur namens Nerd aus dem Land Ka-Troo einfliegen lassen. Die beigefügte Illustration zeigt ein muffeliges Wesen mit widerspenstiger Frisur und einem schwarzen T-Shirt. Wenn hier nicht alle Klischee-Glocken klingeln…
Eine andere Entstehungsgeschichte dreht sich um die Arbeitskleidung der Firma Nortel, die ursprünglich Northern Electric Research and Development hieß, abgekürzt N.E.R.D.. Der Fokus des Betriebs liegt auf technischen Geräten und digitaler Kommunikation, daher passt die Thematik schon mal, der Nerd gilt ja als Computerfreak. Sehr beliebt ist auch die Theorie, dass die Bezeichnung durch das Rückwärtslesen des Wortes „drunk“ (betrunken), also „Knurd“, entstanden ist. Bei diesem Kunstwort wird im englischen das K nicht gesprochen, mit der Zeit entwickelte sich daraus der Nerd. Beschrieben wurden damit übrigens all diejenigen Studenten, die sich ausschließlich ihrem Studium widmeten und nie auf Partys auftauchten.
Im Prinzip decken sich alle Entstehungsgeschichten auf irgendeine Art und Weise mit der gängigen Definition eines Nerds: Ein Sonderling, der stark an Wissenschaft, Technik und fiktionalen Themen interessiert ist. Der Nerd ist demnach gewissermaßen der Geek der 1970er Jahre, sehr intelligent aber ohne soziale Kompetenzen. Neben der Reduzierung auf den gesellschaftlichen Außenseiter entwickelte sich noch eine andere Perspektive: Die Sicht der Nerds selbst. Denn dieser Titel ist für einen echten Nerd geradezu eine Auszeichnung! Hauptsache unangepasst. Ob man dafür zur Hornbrille oder zum Fandom-Shirt greifen muss, ist eine andere Diskussion. Wichtig ist nur, dass man die fachlichen Kompetenzen mitbringt. Die meisten Nerds würden die Nase rümpfen, wenn jemand beispielsweise ein Hulk-Shirt trägt, dann aber keine Ahnung hat, wer Bruce Banner ist. So oder so, die Grenzen zwischen Nerds und Geeks verschwimmen immer mehr. Irgendwie sind beide Parteien schrullige Fans, die sich mit einem bestimmten Thema sehr gut auskennen. Aber warum sind sie auf einmal so angesagt?
Nerds und Geeks: Die Alphatiere
Einen entscheidenden Anteil zur neuen Beliebtheit der Nerds dürften unter anderem erfolgreiche Menschen aus der Computerindustrie haben, allen voran Pioniere wie Bill Gates oder Steve Wozniak. Steve Jobs klammern wir an dieser Stelle gewollt aus, weil er doch eher Vermarkter und nie sonderlich tief in die Hardware-Thematik vertieft war. Den technischen Teil übernahm sein Kollege und Apple-Mitbegründer Wozniak. Bekanntlich wurde Technik im Laufe der Jahre immer wichtiger, und plötzlich war es regelrecht cool, Ahnung von Computern zu haben. Gerade im Internet haben politisch stark diskutierte Personen wie Julian Assange oder Edward Snowden einen exzellenten Ruf, ja, sie gelten geradezu als Helden! (Im Internet, wohlgemerkt.)
Noch viel wichtiger für den aktuellen Nerd-Trend dürfte aber die Film- und Serienwelt sein, aus der die Sonderlinge gar nicht mehr wegzudenken sind. Hacker werden zum Auserwählten und retten die Menschheit (Matrix), uncoole Kids zu Superhelden (Kick-Ass) und die sonst so isolierten Programmierer zu wahren und reichen Partygöttern (The Social Network). Das prominenteste und vermutlich wichtigste Beispiel wollen wir natürlich auch erwähnen: die Erfolgsserie The Big Bang Theory. Darin gelingt es Ober-Nerd Sheldon Cooper immer wieder, die Kontrolle über sein soziales Umfeld zu erringen. Und das, obwohl er der Prototyp eines Nerds ist: Keine soziale Kompetenz, kein Verständnis für Ironie oder zwischenmenschliche Gefühle. Was ihn auszeichnet sind sein hoher IQ inklusive Doktortitel und ein umfassendes Wissen über Science Fiction, Comics und Computerspiele.
Ja, Nerds und Geeks haben einen langen Weg hinter sich. Mittlerweile denkt man oft an mächtige Personen, die die Menschheit prägen! Natürlich wird nicht jeder gleich zum gesellschaftlichen Überflieger, nur weil er ein Shirt von Superman trägt. Es macht ihn aber auch nicht mehr zum uncoolen Außenseiter. Halten wir fest: Geeks und Nerds empfinden gleichermaßen eine große Leidenschaft für bestimmte Themengebiete, die sie fest in ihr Leben integriert haben und in der Öffentlichkeit auch zur Schau stellen. Geeks sind hierbei vermeintlich sozialfähiger. Was die Nerds angeht, hängt das von der Sichtweise des Umfelds ab. So oder so nehmen beide einen immer größeren Raum in der Gesellschaft ein. Und jetzt mal unter uns: Wir finden das großartig, dass unsere Familie sich mehr und mehr ausdehnt. Immerhin lieben wir Diskussionen ala „Von welcher Schauspielerin wurde Catwoman am besten dargestellt“ oder „Ist es technisch wirklich möglich, eine Raumstation in der Größe eines Mondes zu bauen“. Kommt euch das bekannt vor? Dann können wir nur sagen „Willkommen zu Hause“. Dies ist unsere Zeit!
Sind wir nicht alle ein bisschen Nerd?